Nachgedanken zum Spiel SG Dynamo Dresden – Bayer Leverkusen 1. Runde DFB-Pokal
2011/2012
Glücksgas Stadion Sa.,d. 30.07.2011
Zuschauer: 25.959
An diesem verregneten Samstagnachmittag bei kühlen 14°C
sollte im glücksgas-Stadion ein Spiel stattfinden, das viele Geschichten auf
und neben Platz erzählte und den Zuschauern bleibende Erinnerungen bescherte.
Der Vizemeister der Vorsaison ließ sich von Beginn an nicht lumpen und ging
früh mit 2:0 in Führung. Alles schien planmäßig zu verlaufen. Lehmann
beschwörte umgehend den K-Block, den Support nicht abebben zu lassen, egal
welche Packung die SGD an diesem Nachmittag auferlegt bekommen sollte. Dann
passierte etwas, was das weitere Spiel und die Atmosphäre im Spiel nachhaltig
beeinflussen sollte. Im oberen Bereich des R-Blocks brach ein Zuschauer
zusammen. Es schien ernst zu sein – schnell herbeigeeilte Sanitäter begannen
umgehend mit Wiederbelebungsmaßnahmen. Diese wehrten fast eine viertel Stunde –
unaufhörlich sah man den Sanitäter in der Auf- und Abbewegung. Die Szene wurde
nur von einem kleinen Teil des angrenzenden K-Blocks bemerkt. Kurz vor der
Halbzeitpause wurde der Zuschauer dann im Eiltempo per Trage aus dem Stadion
gebracht. Es blieb also zur Pause beim Spielstand von 2:0 für die Werkself. Die
2. Halbzeit begann wie die Erste. Leverkusen blieb hocheffizient und
nutzte schon in der 49. Minute einen
Tempogegenstoß zum 3:0. Schürle wurde von Jungwirth zu passiv attackiert und
traf mit einem tollen Schuß zur vermeintlichen Entscheidung. Kurz darauf wandte
sich der Lehmann an den K-Block. Er hatte von dem Zwischenfall auf der Tribüne
mitbekommen und schlug vor, auf aktive Fangesänge zu verzichten, solange der
Zustand des Fans unklar ist. Von nun an blieb es ruhig im Stadion. Die Stimmung
hob und sank nur durch vereinzelte Aktionen aus den verschiedensten
Stadiontribünen. Plötzlich gab es im unteren Teil des K-Blocks einen weiteren
Zwischenfall. Ein Fan brauchte ebenfalls medizinische Soforthilfe. Lehmann
schaute ungläubig und flüsterte in Mikro „Was’n nur los heute, Mann?!“ Das Spiel
dümpelte derweil so vor sich hin. Die Stimmung war jetzt etwa auf dem Niveau
der Allianz-Arena, also extrem mau. Leverkusen schien sich auf das Notwendigste
zu beschränken und begann mit den ersten Auswechslungen. Kießling und Ballack,
dem es nicht erspart blieb, sich direkt an der Grundlinie vor dem K-Block
warmzulaufen, wurden für Rolfes und den Torschützen zum 1:0 Derdiyok
eingewechselt. Der Name Ballack rief dann doch die ein oder andere Reaktion auf
den Rängen hervor. Die Zuschauer waren sich aber keineswegs einig, ob man
diesen Ballack nun als einer von Ihnen, vielleicht einer der letzten aktiven
Ost-Ikonen, betrachten sollte, oder
aufgrund seiner zuletzt arroganten Art mit Pfiffen begrüßt werden
sollte. Die Unstimmigkeit auf den Rängen wurde durch den Anschlusstreffer vom
Kopfballungeheuer Schuppan in der 68. Minute urplötzlich unwichtig. Damit wurde
die SGD plötzlich frech, suchte die Zweikämpfe und das Spiel nach vorn. Die
Zuschauer merkten dies sofort und die Anfeuerungen wurden lauter. Als wenig später
gar das 2:0 aus ähnlicher Situation durch Koch viel, brodelte die Stimmung
endgültig Richtung Siedepunkt. Die Zuschauer kleben an sofort am Spiel. Jeder Ballbesitz,
jeder Zweikampf, jeder steile Pass wurde stimmungsmäßig reflektiert. Ein
Blinder hätte das Spiel ohne weitere Kommentare mit verfolgen können. Spontane
Fanggesänge und Anfeuerungen mit noch nicht dagewesener Intensität begleiteten
fortan das Spiel. Nur ein kleiner Teil im K-Block verfolgte zurückhaltend das
Spiel: Die Ultra’s und der Lehmann. Leicht ungläubig verfolgte er die Emotionen
auf den Rängen, die allein aus der Spielsituation entstanden und sich in einer
Eigendynamik weiterentwickelten. Es war spürbar, wie sich diese emotionale
Energie, die durch das Spiel entstand, nun auf die Spieler zurückfiel. Und dies
natürlich in positiver Form. Die Mannschaft war jetzt auf Augenhöhe mit den
verunsicherten Leverkusenern. Da half auch ein Michael Ballack nicht, der als
zentraler Anspielpartner für eine gewisse Ruhe sorgen wollte, was ihm aber
nicht gelang. Zu schnell landete der Ball wieder bei Dynamo und zu zielstrebig
spielten diese in Richtung Bayer-Tor.
Was dann in der 86. Minute passierte, lag quasi in der Luft – die
Fans drückten die Mannschaft förmlich in die Bayer-Hälfte und wieder Koch stand
goldrichtig am langen Pfosten und drückte den Ball über die Linie zum 3:3! Das
Stadion stand Kopf – es war die pure Freude. Die 90 Minuten endeten mit einem
3:3.
Die Verlängerung begann, Lehmann ergriff noch einmal das
Mikro und wies darauf hin, dass die Situation des verletzten Zuschauers immer
noch unklar sei und weiterhin kein aktiver Support stattfinden sollte. Doch die
Eigendynamik bei den Zuschauern, welche von der Szene nichts mitbekommen hatten
und auch Lehmanns Ansprache nicht hörten, sorgte weiterhin für einen
Hexenkessel. Je näher die Spielzeit Richtung 120. Minute rückte, desto mehr
wich die euphorische spontane Stimmung der Spannung vor einem möglichen
Elfmeterschießen. Leverkusen drückte noch einmal und hatte 2 hochkarätige
Chancen, die die Mannschaft um Eilhoff aber vereitelte. Der Druck blieb bis
kurz vor Spielende erhalten. Bis zur 117. Minute, als der eingewechselte
Pfeffer den ebefalls eingewechselten Schnetzler per Direktpass in den freien
Raum losschickte. Der kleine Schnetzler lief auf den Torhüter zu, behielt die
Nerven, und lupfte den Ball in das Netz. Dann war das Spiel zu Ende. Das
Stadion stand Kopf. Die Mannschaft lag sich in den Armen und so richtig konnte
keiner der 25.000 Dresdner das eben Erlebte glauben.
Die Stimmung auf den Rängen war so frenetisch wie nie zuvor
in diesem Stadion. Warum? Die Emotionen auf den Rängen entstanden durch den
Spielverlauf. Der sichtbare Wille der Mannschaft wurde in den entscheidenden
Phasen des Spiels durch die Fans gewürdigt. Es war spürbar, wie die Mannschaft
diese Emotionen wieder aufgenommen hat und über sich hinauswuchs. Dieser Sieg allein
ist also nicht das einzige Positive aus diesem Spiel. Die Mannschaft ist
merklich zusammengerückt und hat diesen Sieg zusammen gewollt. Dieses
Mannschaftsgefühl, was im Rostockspiel noch überhaupt nicht sichtbar war, wird
ein Schlüsselelement im Kampf um den Klassenerhalt sein. Herr Menze und Dr.
Opitz werden sich über die rund 300.000€ Zusatzeinahmen freuen, womit hoffentlich noch
eine dringende Verstärkung für die Offensive geholt werden kann, denn ein Koch
allein kann die SGD nicht in Liga 2 halten. Auch der Lehmann wird sich so seine
Gedanken machen über diese grandiose Stimmung, die ohne Input durch UD von den
Rängen kam. Was wäre gewesen, wenn es diesen Notfall im R-Block nicht gegeben
hätte? Dann bleibt noch die Frage, welche Erkenntnis Michael Ballack aus diesem
Spiel mitnimmt. Mit seiner Einwechslung kassierte die Werkself noch vier
Gegentore...